Sedimente einer größeren Geschichte

2023, Eurokisten, Piratenradiosender, Motoren, Fernsteuerungen, bedruckte Wahlplakate, diverse Seilschaften.

Das Freibad wird zur Bühne für ein Wasserspiel.

Im Becken schwimmt ein zerstreuter Haufen aus Euro(norm)kisten. Die standardisierten Kunststoffbehälter wurden für den modularen Einsatz auf Europaletten entwickelt und bilden das kleinteilige Rückgrat unterschiedlicher Industriezweige. In Sedimente einer größeren Geschichte werden sie zu Akteur*innen, aber auch zu Vordergrund und Hintergrund kleinteiliger Erzählungen. Sie werden zur Flaschenpost, zu Bibern, Booten, Inseln, Treibgut, Häfen und Piratenschiffen. Und das Schwimmbecken wird zu einem Fluss, einer Naumachia, einem Live-Stream oder einem rauen Flecken im Ozean.

Der Weg der Erzählung ist dabei eine elliptische Kreislauferzählung. Wir beginnen an einer Quelle. Bei einem Fluss, oder einem Bach, ist sie der Ort des augenscheinlichen Austritts. Dort tritt das Wasser wieder zutage. Dieser Ursprung ist aber nicht der Punkt, an dem etwas scheinbar magisch in die Welt kommt. Es ist nur ein bestimmter Punkt in einem Kreislauf, von dem aus sich vielleicht gut eine Geschichte des Kreislaufes erzählen lässt.

Aber aus einer Quelle selbst kommt nichts Neues. Das Wasser löst jedoch zwischen den verhärteten Gesteinsschichten der Geschichte einzelne Erzählungen und spült sie vor unseren Augen an uns vorbei. Um den Geschichten lauschen zu können, sind die Besucher*innen eingeladen ein UKW Radio mitzubringen und dort während der Vorstellung den Piratensender Radio Naumachia einzuschalten, dessen Wellenlänge kurz vorher bekannt gegeben wird.

Bei Unwetter fällt die Vorstellung aus.

(…) So entsteht ein Damm, hinter dem wiederum sich ein Becken, ein Behältnis bildet. Und was machen wir mit dem Becken? Daraus trinken, Energie gewinnen? Darin schwimmen, uns abkühlen? Oder Fische züchten? Oder wie die Biber uns einfach häuslich drin einrichten? Im Antiken Rom waren einige dieser Becken mit Tribünen und Terassen voller Sitzplatz ausgestattet. Viele Besucher*innen saßen drumherum und schauten auf das Becken. Dort wurde zur Unterhaltung mit Booten im Wasser historische Seeschlachten inszeniert und nachgestellt. Naumachia nannte man diese Veranstaltungen. (…)

(…) Hinter dem Esstisch befand sich eine Haltevorrichtung, in der alle ihre Löffel aufbewahrten. Es gab nur so viele Löffel, wie auch regelmäßig Menschen am Tisch saßen. Wer das Haus oder den Hof verließ, musste seinen Löffel abgeben. (…)

(…) Wenn du einen Song, einen Track, einen Beat baust, dann benötigst du erst mal ein Haufen Material, das du aus irgendeiner Quelle hast. Dieses Material, das können ganze andere Songs oder Ausschnitte aus ihnen sein, das können Aufnahmen sein, die extra dafür angefertigt wurden, von einem Instrument, einem Gesang oder Sprache, von einem Geräusch oder eine Atmosphäre. Jedenfalls nimmst du diesen Haufen an Material und zerlegst ihn in kleine Einzelteile. Dann beginnst du diese Einzelteile neu zusammenzusetzen, zu arrangieren. (…)

(…) Eine Flasche hält – ähnlich wie ein Löffel oder ein Schwimmbad – eine Flüssigkeit in ihrem Inneren. Sie ist ein Gefäß. Eine Flaschenpost tut das Gegenteil, aber sie ist trotzdem ein Gefäß. Sie transportiert nur anstatt einer Flüssigkeit eine Nachricht. Und zwar entlang einer Flüssigkeit, eines Gewässers oder Kanal. (…)

(…) Das goldene Zeit der Piraterie dauerte nur einige Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts. Doch im 20. Jahrhundert knüpfte eine neue Form der Piraterie an diese Geschichte an. Statt anderer Schiffe wurden jetzt Wellenlängen gekapert. Es entstanden die Piratensender. Und entsprechend ihres Namens, wurden diese Sender auch auf Schiffen positioniert. Somit befanden sich die Sender in internationalen Gewässern und entzogen sich der Verfolgung durch hoheitlche Rundfunkkontrollanstalten. Die Radiopiraten konnten dadurch ihr Programm ungestört durch die Wellen und über die Wellen bis ans Land senden. (…)

mit

Martha Martin-Humpert an den Mikrofonen, Leon Hösl als Anker des Projekts und an der Fernsteuerung

im Rahmen von

WALDBÜHNEN, einem Programm des Black Forest Institute of Art

danke an

das Freibad Kappel und stellvertretend für den Schwimmbad Förderverein, Sarah Leufke, Magdalena Stöger, Stefan Hösl & Andrea Mihaljevic, Gustavo Mendez Lopez, Dorina San Luis, Anton Kats, Aiko Okamota, Viktor Bone, JOJO Modellbau

gefördert von

Stiftung Kunstfonds und Neustart Kultur

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