Den ersten, gemeinsamen Tanz absolviert. Mit einem Heftchen in der Hand. Voll mit Drucken, Texten, Muster, Hologramme, Stempel, Unterschriften, irgendwo dazwischen ein Funkchip. Alle kannten ihre Schritte in der Aufführung viel zu gut. Dann die Schlange vor dem Sicherheitskontrollbereich. Eine Reihe von Drehungen, weiterhin langsame, gemeinsame Bewegungen, hundertachtzig Grad Rechts, hundertachtzig Grad Links. Schließlich an der rechten Abfertigungsstraße, in einem von achtzehn Millimeter starken Sicherheitsglaspaneelen umschlossenem, scheinbar transparenten Großraum. Die Gerüche, die die Testflakons aus den Duty-Free Bereichen verströmen, ziehen bis hier rüber. Und langsam in meine Nase. Mit den Gedanken um die Ereignisse in Hamburg kreisend, trete ich an den Edelstahltisch und starre staunend auf den genormten Euro Box Behälter, der dort auf mein Handgepäck wartet, während meine Hand routiniert in die Hosentaschen wandert. Geldbeutel, Schlüssel, Handy. Das Innere der Box ist ganzflächig mit einem folierten Werbedruck kaschiert. Auf dem Druck ein Auto mit Bewegungsunschärfe vor einer Landschaft in Szene gesetzt. Dazu der Schriftzug „Enterprise“, die Bildmarke eines Unternehmens für Mietwagen. Die Außenflächen der Box wechselnd mit der Bildmarke von „Enterprise“ und die Nummer der Hotline beklebt. Anschlussmobilität sichern. Staunend über die immer neue ökonomische Nutzbarmachung von Räumen, von denen mir mal wieder nicht bewusst war, dass es ökonomisch nutzbare Räume sind, zücke ich mein Handy. Das soll jetzt eigentlich in den Behälter mit den Werbedrucken wandern. Mit dem Handgelenk suche ich eine Pose, die dem privaten Sicherheitspersonal möglichst nicht verrät, dass ich Fotos mache, sondern so wirken soll, als wollte ich ein paar Push-Notifications auf dem Bildschirm lesen. Die Person mit der bestickten „Securitas“ Bildmarke auf dem Hemd an der Behälterausgabe behält mich im Auge. Und ich sie. Taking photos in the airport security zone is prohibited.
Der Behälter mit den Gegenständen aus meinen Hosentaschen, Jackentaschen und dem Gepäck rollt Richtung Röntgengerät. Mir wird klar, dass ich schon wieder den Punkt verpasst habe, um mich aktiv für einen Metalldetektor bei der Auswahl der Abfertigungsstraße zu entscheiden. Nun steht vor mir eine der hohen, transparenten Nacktscanner-Kabinen. Ich warte auf Zutritt, während meine Gegenstände auf dem Laufband rechts neben mir hinter den Lamellen des Röntgengeräts verschwinden. Ich kann das Bild, das das Röntgenstrahlgerät auf den Bildschirm wirft, nicht sehen. Der Bildschirm ist im toten Winkel zu mir positioniert. Ich erkenne mit Mühe den „Securitas“-Mitarbeiter, der das Bild sieht, erkenne aber auch nicht die Produktionsverhältnisse, unter denen das Bild entsteht, nicht die Arbeitsverhältnisse, unter denen es betrachtet wird. Mit einer Kopfdrehung kann ich jedoch einen anderen Röntgenbildschirm auf der Abfertigungsstraße links neben mir sehen. Im Röntgen verschwindet auf magische Weise das Werbebild des Autos in der Box und es formen sich stark saturierte Konturen. Die Außenlinien von Objekten werden sichtbar. Das Innere der Objekte wird nur auf eine bestimmte Art sichtbar. Es wird nicht sichtbar, ob unerlaubte Fotos der werbenden Euronormbehälter innerhalb der Objekte mitgeführt werden, sondern es wird sichtbar, ob unerlaubte Gegenstände oder Flüssigkeiten innerhalb der Objekte mitgeführt werden. Und während ich mich frage, ob mich eine der unzähligen Überwachungskameras dabei gefilmt hat, wie ich den Behälter heimlich fotografiert habe, deutet mir der „Securitas“-Mitarbeiter hinter dem Bildschirm des Nacktscanner an, jetzt in die Kabine zu treten, damit sie überprüfen kann, ob ich unerlaubte Gegenstände oder Flüssigkeiten an meinem Körper mit mir führe.
Jeder Raum hier könnte der gleiche sein. Eine Gruppe von Arbeiter*innen hat aber dafür gesorgt, dass temporär dem nicht so ist. Ein zeitgenössisches Museum in einem ehemaligen Palast. Der Ort einer Wiederholungsschleife von architektonischen Elementen. Großflächig Fenster an Fenster, weiße Trockenbauwand an weiße tragende Wand. Grauer Estrich, soweit der Blick reicht. Dazwischen Objekte.
Ich gehe von Objekt zu Objekt. Sie liegen geschützt unter Glasvitrinen. In einer der Vitrine ein Blatt Papier. Ein Schlachtplan. In kleinen, eingefärbten Rechtecken sehe ich die Anordnung und Formation von militärischen Einheiten eingezeichnet. Dazu ein kartografischer Überblick über das Schlachtfeld. Vom dazugehörigen Text erfahre ich, dass mit diesem Plan die Heeresleitung an einem hohen Punkt über dem Schlachtfeld stand und die Kämpfe in der Ebene überblickte. Berittene Boten waren ständig zwischen den einzelnen Einheiten und der Leitung unterwegs, um Informationen und Befehle zu übermitteln. Sie waren als die Informationsschnittstelle häufig zielgerichteten Angriffen der Gegner ausgesetzt.
Die historische Ausstellung will die Herrschaftsweisen des lokalen Fürsten im 18. Jahrhundert vermitteln. Das Gebäude, in dem die Ausstellung und ich stehen, wurde von seinem Enkel erbaut. Die Sammlung, aus der sich die Ausstellung zusammensetzt, wurde von ihm selber begonnen und blieb von Staatsform zu Staatsform, von Regierungsart zu Regierungsart immer im Besitz des Staates, sowie auch das Gebäude.
Im nächsten Abschnitt der Ausstellung erfahre ich, dass der Fürst ein stehendes Heer einrichtete. Eine Armee, die nicht mehr aus zum Kriegsdienst gerufenen Bauern, Handwerkern und Bürgern bestand, sondern aus Menschen, deren Profession es wurde, Soldat zu sein. Um die großen Investitionen und laufenden Kosten der überproportionalen Truppe tragen zu können, vermietete der Fürst sein stehendes Heer an andere Herrscher*innen und wurde so zu einem der ersten Militärunternehmer Europas. Ich nehme mein Handy aus der Hosentasche und möchte ein Foto von den Mietverträgen machen, als eine „Securitas“-Mitarbeiterin an mich herantritt. „Das Fotografieren in der Ausstellung ist nicht erlaubt.“
Ich stoße bei der Bildersuche von Google zu "Hamburg Auto Altona" wieder auf das Foto. Die Anzeige der Suchergebnisse besteht aus einem Raster aus dünnen Weißabständen. Zwischen ihnen die Ergebnisse als Thumbnails. Eintausendundzweihunert Pixel breite herunterskaliert auf vier Zentimeter Bildschirmbreite.
Früher konnte man direkt auf die Bilder klicken und Google leitete einen auf die hochauflösende Version des Fotos weiter, die dann einzig im Browserfenster zu sehen. Seit einem Rechtsstreit mit einer Pressebildagentur, zeigt die Weiterleitung auf die Website, auf der das Foto eingebettet ist. Der Rechtsstreit drehte sich um die Frage, ob die Fotos durch die direkte Verlinkung zu weit aus dem Kontext der Website herausgelöst wurden.
Ich klicke auf das vier Zentimeter breite Vorschaubild, das auch ein Verweis ist. Mein Browser sendet eine Anfrage, weitergeleitet durch mehrere Knotenpunkte und unter Beobachtung durch weitere Stellen zum Server der Hamburger Morgenpost. Der Server generiert und erstellt eine Reihe von mit Eigenschaften beladenen Objektbeschreibungen und packt sie in ein HyperText Markup Language Dokument. Mein Browser interpretiert die Objektbeschreibung, rendert sie in Objekte, folgt den Verweisen, fragt verknüpfte Dateien an anderen Orten an. Eine weiße Schrift legt sich auf eine rote Fläche. Daran docken zwei weiße Flächen an, die wiederum sich nahtlos aneinander anschließen. Eine fest definiert, die andere unendlich groß. Ein Bild legt sich in die linke weiße Fläche. In der rechten weißen Flächen wird ein Bereich abgegrenzt, mit einer Kontur umrundet und zur Miete angeboten. Sofort bekommt ein Bieter durch ein Skript auf einem anderen Server den Zuschlag. Über dem Bereich steht der Schriftzug „Anzeige“.
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In den Bereich wird ein Bild nachgeladen, dahinter, aber doch präsent, unsichtbar, aber gleichzeitig völlig transparent liegt ein Skript. Das Skript gibt meinem Browser eine Identifikationsnummer, beginnt die Aktivitäten meiner Tastatur und meines Cursors auf der Website aufzuzeichnen und speichert die Daten für die Mieter der Fläche.
Über das Ensemble lagert sich ein semitransparentes Objekt. Ein Button mit der Aufschrift „Einverstanden“ und dem Verweis, unter welchen Bedingungen ich diese Website besuche. Die Website ist ein Live-Ticker während der Ereignisse 2013 in Altona. Jetzt, fünf Jahre später, liest es sich wie ein in der Bewegung erstarrtes Protokoll einer Perspektive auf die Abläufe, das scheinbar mit verlorener Relevanz zwischen all den anderen Artikeln auf der Website der Hamburger Morgenpost steht. Der ganze Live-Ticker befindet sich jetzt im Cache, in meinem lokalen Zwischenspeicher. Dort verbleibt er bis zum nächsten Reload der Webseite, bei dem sich wieder alle Teile der Website neu generieren und zusammensetzen.
Ich drücke Command, Shift, Drei und mache ein Foto von der Website.
Zunächst hatte es geheißen
Installationsansicht Weserburg Museum für moderne Kunst, Foto: Franziska van den Driesch
Text und Installation waren Teil der Meister*innenschüler*innenpräsentation im Studiengang Freie Kunst an der Hochschule für Künste Bremen. Der Text wurde dort im Juli 2018 vorgetragen, die Installation im Museum Weserburg gezeigt.