Geografien der Unterbrechung, 21.01.2022 — 27.02.2022, war eine Ausstellung von Fritz Laszlo Weber im ehemaligen Güterbahnhof Bremen, einem selbstverwalteten Areal für Kunst und Kultur. Die Ausstellung fand zweiteilig und zeitgleich in der Galerie Herold und im Ausstellungscontainer CIAO, die beide von einer Gruppe von Künstler*innen auf dem Gelände organisiert werden.

Fritz Laszlo Weber hatte von 2018 bis 2022 sein Atelier am Güterbahnhof und war dort Teil der Arbeitsgruppe für Netzwerkinfrastrukturen. Die Ausstellung ist so auch sein Abschied vom Gelände und der Teilhabe an dessen kollektiver Selbstverwaltung.

Installationsansicht im Ausstellungscontainer von Remote client container (daemons cage),
2022, Bildschirm, unendlich generierter Videoloop, Netzwerkkabel, Audio: 3-Kanal Loop (8 min), Körperschallwandler

Geografien der Unterbrechung

„Ein Wirbel an Erzählungen kann nicht klar resümiert werden. Ihre Größenordnungen passen nicht genau ineinander; sie lenken die Aufmerksamkeit auf Geografien und Geschwindigkeiten der Unterbrechung. Diese Unterbrechungen lösen weitere Geschichten aus.“
Anna Lowenhaupt Tsing – Der Pilz am Ende der Welt (2015)

Die Ausstellung „Geografien der Unterbrechung“ ist der Versuch, Erzählungen aus dem heutigen Alltag und der Geschichte des Güterbahnhofs aufzugreifen und miteinander zu verweben.

Container

„Many theorizers feel that the earliest cultural inventions must have been a container to hold gathered products and some kind of sling or net carrier.“
Women’s Creation (McGraw-Hill, 1975)

In diesen ersten Tragetaschen kamen vielleicht Samen, Nüsse, Beeren, Blätter oder Körner von Sammler*innen zusammen. Frühe Behältnisse als Orte unterschiedlichster Ansammlungen. Auch an einem Bahnhof treffen Menschen, an einem Güterbahnhof Waren aufeinander. Die Tropenfrüchte, Tabakblätter, Baumwollfasern, Gewürze, Teeblätter, Hölzer und andere Rohstoffe und Endprodukte, die im Güterbahnhof umgeschlagen wurden, sind jedoch keine zufälligen Ansammlungen an Dingen, die beim Durchstreifen der Wälder und Wiesen gefunden wurden. Sie sind Produkte globaler, kapitalistischer und (post-)kolonialer Wirtschaftsprozesse, die sich an diesem Ort zusammengeführt worden sind. Sie wurden in Säcken, Kisten oder lose zusammengebunden, hier be- und entladen, zur Weiterverarbeitung oder direkt zum Konsum.

Ausschnitt einer Aufnahme von Remote client container (daemons cage), 3 Körperschallwandler auf Metall, 8min

Das Gleisnetz, das den Güterbahnhof umgibt, hat einmal Säcke und Kisten voller Waren im stetigen Fluss gehalten. Die Verlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße, aber besonders der Aufstieg des genormten Frachtcontainers war das Ende der Nutzung des Güterbahnhofs als Umschlagplatz für Waren. Denn der Güterbahnhof und sein Gelände konnte nicht mit den neuen Anforderungen der wachsenden Container-Wirtschaft skalieren. Diese stufenlose Skalierung war jedoch das Versprechen des Containers und die Nichtskalierbarkeit wurde so zum Hindernis. Nicht nur in der Logistik, auch in der Softwareentwicklung ist der Container ein Modellformat für den Orts-unspezifischen Einsatz geworden.

Installationsansicht in der Galerie Herold von Local area network (completely headless), 2022, Netzwerkkabel, Kabeltrasse, Kabelköpfe, Verpackungstasche und Access point (out of range, out of sight), modifizierter WLAN-Router mit lokal gehostet Webseite mit verschiedenen Medien

Verbindungen

War der Güterbahnhof früher in ein Netz aus Warenverkehr eingewoben, ist er heute vom Gleisnetz abgeschnitten, seine Gleisanschlüsse sind zurückgebaut. Das Netz hat ihn umschlossen und gleichzeitig, durch die Schienen, von seiner Umgebung abgeschnitten. Das Gelände ist nun nur noch über eine Bahnschranke zu erreichen, deren unvorhersehbarer Takt den Zugang regelt. Die Bahnschranke wiederum unterstützt die heutige Nutzung des Geländes. Erste Pläne, den Güterbahnhof nach seiner Stilllegung in den 90er-Jahren abzureißen und das Gelände mit innerstädtischen Neubauten zu erschließen, scheiterten an den Gleisen. Erst so öffnete sich der Raum für eine Zwischennutzung.

Dieselben Gleise sind auch der Grund, warum der Güterbahnhof faktisch offline ist. Ihre Infrastruktur sorgt dafür, dass die Internetverbindung nicht einfach in Form eines Kabels über die Gleise geworfen werden kann. Bahn- und Kommunikationsnetze teilen eine lange, oft symbiotische Geschichte. Frühe Telegrafennetze, als Vorgänger des Internets, wurden häufig entlang von Bahnstrecken verlegt. Die Kommunikation verlief über die Telegrafenkabel nicht nur schon „on line“, sondern über sie wurden auch der Vekehr auf den Schienen organisiert und der Status der Züge durchgegeben („On the line, „off the line“).

An dem lokalen Netzwerk im heutigen Güterbahnhof und an einer verbesserten Außenanbindung arbeitet seit 2018 eine Arbeitsgruppe, initiiert durch den Freifunk Bremen. Als Teil der Selbstverwaltung wurden über den Zeitraum von drei Jahren kilometerweise Kabel und dutzende Knotenpunkte miteinander verbunden, um ein offenes Funknetz auf dem Gelände aufzubauen, das über eine fragile Funkverbindung über die Gleise hinweg mit dem Internet verbunden ist. Von den Schwierigkeiten des Herstellens dieser Verbindungen erzählen die Netzwerksteckköpfe in der Galerie Herold, die sich während dieser Zeit angesammelt haben.

Wie bei einem Wassernetz, Schienennetz oder einem Elektronikschaltkreis muss bei Netzwerkkabeln eine ununterbrochene Verbindung herrschen, damit die Kommunikationsprotokolle funktionieren. Sind die acht einzelnen Adern eines Netzwerkkabels nicht identisch verbunden, oder sind einzelne Adern abgebrochen, kann keine Verbindung aufrechterhalten werden. Dann wird der Kabelkopf abgetrennt und ein neuer, mühsamer Versuch beginnt, die Verbindung wieder herzustellen.

Sind die Kabel richtig verdrahtet, hört die Arbeit am Netzwerk dennoch nicht auf. Die reine Größe des Netzwerks sorgt für Probleme, da häufig eine einzelne Unterbrechung im gesamten Netzwerk zu Störung führen kann und dann das gesamte Gelände für Tage offline ist, bis jemand in die Tiefen der Unterbrechung hinabsteigt und schaut, was los ist.

Loggen Sie sich mit ihrem Smartphone in das „herold“-WLAN ein und rufen sie die Webseite unterbrechungen.net auf. Die Webseite ist nur innerhalb des WLAN verfügbar.

Installationsansicht in der Galerie Herold von Network web dashboard (interrupting geographies), 2022, Gewebesäcke, Stickerei

Daemonen

Die Daemonen sprechen aus den Spalten und Rissen der Unterbrechungen. Sie sind keine teuflischen Wesen, die moralisch böses im Schilde führen, sondern die Arbeiter*innen im Hintergrund. In Computersystemen bezeichnet der Begriff Daemon konstant aktive Prozesse, die die Verbindungen am Laufen halten. Sie regeln alles jenseits der sichtbaren Benutzeroberfläche, sind nie untätig oder unproduktiv. Ihre Bezeichnung geht auf eine Reihe vorchristlicher Mythologien in der Antike zurück, in denen Daemonen verschiedene Rolle zugewiesen wurden. Sie lebten zwischen den Gött*innen und Menschen und sorgten auch hier für die Hintergrundprozesse: Sie brachten Winde zum Wehen, Flüsse zum Fließen und halfen Zugvögeln, ihre Wege zu finden.

Wo Logikstikarbeiter*innen, dafür sorgen, dass die Waren in den Verkaufsregalen der Geschäfte landen, sorgen die heutigen Daemons dafür, dass die Daten konstant auf die Geräte und Bildschirme fließen. Was aber, wenn gerade eine Unterbrechung besteht: was treiben die Daemonen dann?

Unhandy voice message(off the line), 2022, Acrylglas, touch sensor, Audio (1 min) breakoutboards, kabel, kontaktlautsprecher

Wirbel, Wellen, Aufzeichnungen – Ein Rundgang als Hörerfahrung mit Research and Waves

26.02.2022

Im Rahmen der Ausstellung fand ein Workshop in Zusammenarbeit mit Research and Waves statt, der elektromagnetisch Felder, Wellen, Wirbel in lokalen Netzwerken akustisch erfahrbar gemacht. Die Teilnehmer*innen unternehmen mit unterschiedlichen Mikrofonen und Aufnahmegeräten kleine Rundgänge auf dem Güterbahnhof Gelände und in der Ausstellung. Dabei erkunden sie mit auditiven Mitteln verschiedene Schall- und Funkwellen und deren Unterbrechungen.

Die Aufnahmen dieser Rundgänge werden Teil einer digitalen Ausstellungspublikation, die 2024 veröffentlicht werden soll.

Herzlichen Dank an Jasmina Al-Qaisi, Henrik Nieratschker und Norman Neumann für die Ünterstützung!

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